Newsletter Oktober 2024
Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht,
sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.
Václav Havel, Schriftsteller und Politiker, 1936 2011
Lärm und Stille
Ab Mitte Oktober sollten wir den mühsamsten Teil des Liegenschaftsumbaus überstanden haben. Wegen dem zu erwartenden übermässigen Lärm mussten wir die gesamte Praxis vom 01. -14. Oktober 2024 während zwei Wochen schliessen. Etwas, das es seit 2006 nie mehr gegeben hatte. Wir hoffen, dass anschliessend wieder Ruhe einkehren wird.
Wobei die letzten Monate und Jahre nicht nur in der Praxis, sondern auch im näheren und weiteren Umfeld gezeigt haben, dass wir in einer so unruhigen und hektischen Zeit leben, dass wir nur noch selten Inseln der Ruhe finden. Oft müssen wir sie aktiv suchen. Diese Oasen der Stille, wo nach aussen wenig passiert, sind für unsere Gesundheit so wichtig. Sie sind mitentscheidend, dass unser vegetatives Nervensystem wieder in Balance kommen kann. Das vegetative Nervensystem arbeitet autonom und ist für unsere (unbewussten und meist unbeeinflussbaren) Körperreaktionen und damit das Überleben von uns verantwortlich, es beeinflusst Atmung, Herzschlag, Verdauung, aber auch die Biorhythmen oder die allgemeine Regeneration. Es spielt auch eine wichtige Rolle im Immun- und im Hormonsystem; all das dient unserem Gleichgewicht, unserer Gesundheit und ist wesentlicher Teil unser Selbstheilungskräfte.
Wenn wir immer wieder und immer länger auf «Hochtouren» leben (müssen), dann besteht die Gefahr, dass dieses vegetative Nervensystem kaum noch aus dem «Stressmuster» herausfindet. Wir nennen dieses Muster auch den «Kampf-Flucht-Modus». Das ist eine Art «Notfallprogramm», das uns in Extremsituationen reflexartig das Überleben sichern kann. Früher waren diese z.B. Angriffe von Raubtieren, Naturkatastrophen auch Hungersnöte, also alles «Kampf- und Fluchtsituationen». Diese existentiellen Lebensgefahren sind heute in der Schweiz objektiv seltener geworden, im individuellen Erleben der Einzelnen nehmen sie offensichtlich wieder zu. Der Stress unseres «normalen» Alltages lässt das vegetative Nervensystem jedoch so reagieren wie in den Anfangszeiten der Menschheit. Aktuell befinden sich immer mehr Menschen in solchen realen oder drohenden oder auch «nur» gedachten Notsituationen. Dieser Zustand, der kurzfristig das Überleben sichern soll, erhöht mittelfristig das Risiko krank zu werden.
In der Praxis erleben wir immer mehr Menschen, die an solchen «Körper-Stress-Krankheiten» leiden. Der Körper spiegelt in seinem «Kampf-Flucht-Modus», dass die/ der Patient/In sich in einer Notsituation befindet oder sich so fühlt. Dabei kann das vegetative Nervensystem fast jedes Körpersymptom «nachahmen», wie sie auch bei ernsthaften körperlichen Krankheiten zu finden sind. Die Unterscheidung ist oft sehr schwierig. Es sind dies also (fast) alle Formen der Schmerzen, aber auch Herzklopfen, Atemnot, Erbrechen- Durchfall und v.a. auch Müdigkeit als Zeichen, dass das System sich langsam, aber sicher erschöpft.
Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, eine Situation zu ändern –
sind wir gefordert, uns selbst zu ändern.
Viktor E. Frankl, Psychiater und Neurologe
Was tun?
In der Sprechstunde versuchen wir, den Patient/Innen zu zuhören und (gemeinsam) zu verstehen, ob es sich um eine möglicherweise ernsthafte Krankheit handelt, die oft eine Akut-Therapie braucht. Wenn wir dies mit einem aufmerksamen, aktiven guten Gespräch, einer körperlichen Untersuchung sowie der bei uns möglichen «Sofortdiagnostik» (Labor, Röntgen etc.) ausgeschlossen haben, bleibt mehr Raum und Zeit, um weiter zu suchen, was diese Symptome hervorruft. Dieser Mehraufwand an Zeit, kostet in der Praxis etwas mehr, kann später oft viele Folgekosten verhindern, weil die Menschen nicht auf die Notfallstation gehen müssten. Denn nicht selten leiden die Patient-innen an eben einer «Körper-Stresskrankheit». Sie machen seit Jahren ca. 30% der Konsultationen aus, Tendenz wohl steigend. Obwohl sich die Symptome oft dramatisch anfühlen, sind sie kurzfristig nicht lebensgefährlich, längerfristig können sie unbehandelt aber durchaus bedrohlich werden.
Diese Art der medizinischen Grundversorgung ist eines unserer Kernanliegen. Die Grundlage ist das «bio-psycho-soziale» Modell, welche den Menschen als Ganzes in einem Umfeld verstehen will und sich nicht nur auf einzelne Organe fokussiert.
Diese «sprechende» (narrative) Medizin ist für mich eine (Finger-) Spitzenmedizin, welche kurzfristig teurer wird, langfristig viele Probleme im Gesundheitswesen lösen könnte. Darum sind wir nicht nur in der Praxis, sondern auch regional sogar national seit Jahren engagiert, der Bevölkerung sowie den wichtigen Profis und Politikern dieses Denken näher zu bringen: die Stärkung einer interprofessionellen Grundversorgung, wo die Stimme der Patient-innen nicht nur gehört, sondern auch verstanden wird. Wir erleben nun, dass (wir mit unserer Vision immer mehr ebenfalls gehört und vermehrt verstanden werden.
Dieses gemeinsame Verstehen ist der Boden, worauf dann die nächsten Schritte möglich werden, sei es zur weiterführenden Diagnostik sei es eine Behandlung. Erst wenn ich etwas verstehe, sei es bei mir selbst, aber auch in der grossen weiten Welt, kann ich besser damit umgehen, weiterplanen und sinnvoll auf all die Fragen antworten, die sich mir stellen, selbst wenn ich mich manchmal machtlos fühle.
Diese «Sinnfragen» erleben wir in der Sprechstunde immer drängender. Früher war es oft die Religion, die uns Halt gegeben hatte, heute, wo die individuelle Autonomie im Mittelpunkt steht, die persönliche Freiheit, steigt auch die Verantwortung, sich seine eigenen Lösungen und Wege zu suchen. Das ist eine Herausforderung, die in sich selbst auch wieder zu sehr viel Stress führen kann. Immer wieder versuchen wir Sie als Patient/Innen und vor allem als Menschen auf diesem oft schwierigen Weg mit offenem Ohr, Rat und Tat zu begleiten. Dies gilt auch für unsere Mitarbeiter/Innen, die in eben diesem Spannungsfeld ihren eigenen Platz finden dürfen und manchmal auch müssen.
Wähle einen Beruf, den du liebst,
und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.
Konfuzius
Der erneute Prämienschock löst nicht nur Wut und Unverständnis aus, sondern auch die Frage, was können wir dagegen tun, sei es als Gesellschaft, sei es als Individuum. Es gibt keine einfachen Lösungen. Seit Jahren sind wir mit Salutomed daran, das Augenmerk auf eine «beziehungsorientierte, gesundheitsfördernde und teambasierte» Grundversorgung zu legen, wo sie als Patient/In ein gleichwertiges «Teammitglied» sind, um in einem Dialog auf Augenhöhe, wo sie Expert/In ihres Lebens sind und wir die Experten von Krankheiten, ein für Sie stimmigen Weg im Kranksein zu möglichst viel Gesundheit zu finden. Die Selbst- und Eigenverantwortung ist also EIN wesentlicher Teil, dass die Kosten nicht weiter steigen. Daneben braucht es neue Anreize für die Profis: so lange jede Leistung separat bezahlt wird, verdienen «wir» in erster Linie an den Krankheiten; eine bessere Koordination und Kommunikation «lohnt sich nicht», im Gegenteil, sie «kostet» nur Zeit und wird kaum wirklich honoriert. Wir brauchen also neue Versorgungsmodelle und dazu passende (politische) Rahmenbedingungen. Solange alles «beim Alten» bleibt, werden die Kosten weiter steigen. Wir werden hier immer wieder auch über neue Modelle informieren.
Der Fachkräftemangel ist auch in einer «Sinnkrise» begründet. Viele Profis erleben nicht mehr das Berufsbild, das sie sich einmal «erträumten» – die administrative Arbeit am PC ist zeitlich oft grösser als die persönliche Begegnung mit den Patient/Innen und Menschen. 30% der jungen Ärzt/Innen überlegen sich, einen anderen Beruf zu wählen. Jeden Tag verlassen 5 Pflegefachleute ihren Beruf. Wenn es einer Organisation – oder einem Versorgungsmodell – gelingt, hier neue sinnstiftende Anreize und Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, dann werden sie einen grossen Vorteil im «Kampf um die Fachkräfte» haben.
Menschen
Wir sind froh und dankbar, dass wir immer wieder neue gute motivierte Mitarbeiterinnen finden, die genau diese Ansätze auch suchen.
Frau Dr. Stefanie Borkenhagen
Sie ist eine langjährige Hausärztin, die neue Herausforderungen sucht und im November bei uns beginnt. Mit ihrer breiten Erfahrung wird sie für die geplante Nachfolge sehr wichtig sein, zumal sie auch an Führungsaufgaben interessiert ist.
Herr Dr. Pascal Krayer
Er arbeitete als leitender Arzt in der Geriatrie, hat also viel Erfahrung mit älteren, mehrfach kranken Menschen, gleichzeitig interessiert ihn der Fähigkeitsausweis «psychosoziale Medizin». Das ist für uns die Grundlage einer guten Hausarztmedizin. Er beginnt ebenfalls im November.
Mit Frau Dr. Simone Hegner und Frau Dr. Christine Huber sind wir ab 2025 fünf Haus-ärztinnen, was für die Zukunft viel (mehr) Kontinuität, Kompetenz und Qualität bringen wird. Gleichwohl möchten wir als Lehrpraxis weiterhin 2 – 3 Praxisassistentinnen betreuen, so u.a.
Frau Elena Ruckstuhl
Sie wird uns ab Februar als Praxisassistenzärztin verstärken. Bisher arbeitete sie u.a. in der Klinik Südhang (Suchtkrankheiten), ist aber auch anderweitig sehr sozial engagiert.
Wir begegnen uns in den Gemeinsamkeiten
Und wachsen an den Unterschieden
Virgina Satir
Ende Jahr werden uns Frau Virginia del Barrio nach einem Jahr, Frau Anne Berger (Ende Januar) sowie Herr Fabian Wagner nach 6 Monaten wie vorgesehen leider wieder verlassen, um an anderen Kliniken ihren Facharzttitel zu komplettieren. Alle drei haben nicht nur viel gelernt, unsere Praxis unterstützt, sondern auch bei vielen Patient/Innen grosses Vertrauen erleben dürfen. Sie würden später auch als Haus-ärztinnen gut zu unserer Philosophie passen. Viele ehemalige PAA der Salutomed arbeiten in der Region, auch in Bern als Hausärztinnen, was uns mit Dankbarkeit und Genugtuung erfüllt. Wir sind optimistisch, dass wir weiterhin so engagierte, junge Nachwuchskräfte finden werden.
Ende Oktober verlässt uns auch Frau Natalie Ceesay, die über Jahre sowohl als Hausärztin und als Psychiaterin fast unverzichtbar geworden ist; wir haben aber immer gewusst, dass sie uns einmal verlassen wird, damit sie ihren Facharzt-Titel erreichen kann. Dazu braucht sie je ein «Fremdjahr» in einer Klinik bzw. einer anderen Praxis. Sie hat nun die einmalige Chance als leitende Ärztin im Berner Ambulatorium der Klink Hasliberg ihre FMH-Psychiatrie zu erlangen. Später braucht sie noch ein klinisches Jahr für den FMH Allgemeine Innere Medizin, womit sie eine der wenigen Ärztinnen sein wird, die beide Fachtitel tragen darf.
Ihnen allen möchte ich von ganzen Herzen für ihre wertvolle Arbeit danken, aber auch für den einen oder anderen unvergesslichen Augenblick im Team und in der Praxis.
Ende 2024 wird Herr Dr. Philippe Cordey seine Praxis im 1. Stock der Kirchlindachstrasse leider ohne Nachfolge schliessen. Viele der Patient/Innen, die wir früher (1998-2006) z.T. gemeinsam betreuten, werden zu uns zurückkehren. Sie sind herzlich willkommen. Umso wichtiger ist es, dass wir weiterhin Haus-ärztinnen suchen und finden. Im Namen der Salutomed danke ich Philippe Cordey für die jahrelange gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit; gemeinsam haben wir die Grundlage dieser «unserer» Hausarztmedizin gelegt. Ohne seinen Mut, wären wir vielleicht nie da, wo wir heute stehen.
Unser höchstes Ziel ist und bleibt: dass an der Kirchlindachstrasse 7 weiterhin eine nachhaltige, qualitativ hochstehende Hausarztmedizin angeboten werden kann. Wir sind deshalb immer noch mit verschiedenen grossen Organisationen in Verhandlung.
Sorge nicht, wohin dich der einzelne Schritt führt:
Nur wer weit blickt, findet sich zurecht.
Dag Hammarskjöld (1905 1 961)
Die Zweigstelle «Psychosomatik und Psychiatrie» an der Bernstrasse ist seit Juli 2024 endlich «voll besetzt». Die Einführung des «Anordnungsmodell», womit wir kaum noch Psychologinnen anstellen können, hat der Praxis über ein Jahr an Entwicklung «gekostet». Mit der Leitung von Herrn Emil Šabanović, FMH-Psychiatrie, hat sich Vieles zum Guten gewendet. Sein Konzept «Psychosomatik» hat über die Praxis hinaus bereits ein sehr grosses Echo gefunden. Er darf seine/unsere Ideen regional und national immer wieder vorstellen. Damit ist eine unserer Visionen wahr geworden – die Verbindung von Hausarztmedizin und Psychiatrie zu einem Ganzen, was beiden hilft, vor allem aber auch den Patient/Innen. Damit ist auch strategisch und strukturell ein tragfähiger Boden für ein gelebtes «bio-psycho-soziales» Modell geschaffen. Wie bereits ausgeführt, nehmen die psychischen Krisen ebenso zu, wie die «Körper-Stress-Krankheiten». Mit dieser Zweigstelle, den kurzen Wegen sowie der erprobten Kommunikation können wir die Menschen in ihren Krisen noch besser begleiten. Zu seinem Team gehören: Frau Lavinia Duda, Herr Adriatik Komoni sowie Herr Robin Kaufmann. 2025 werden auch Praxisassistenzärztinnen dazu kommen. Wir hoffen auch, dass unsere Praxis bald als «Weiterbildungspraxis» für Psychosomatik akkreditiert werden wird.
Das MPA-Team ist unter der Leitung von Frau Natalie Odermatt sehr stabil geworden. Das Team hält all die verschiedenen Angebote der Praxis zusammen und begleitet Sie vom ersten Kontakt (am Telefon oder per Mail) bis zu Ihrer Ärztin. Oder Frau Marlies Schneeberger als Pflegefachfrau, die uns in der Begleitung von Menschen mit chronischen Krankheiten seit Jahren erfolgreich unterstützt.
Dieses «nicht-ärztliche Team» wird in der «Grundversorgung von morgen» immer wichtiger werden. Es meistert all die komplexen Aufgaben im Alltag ebenso kompetent wie die immer wieder neuen Herausforderungen, wie z.B. Datenschutz, Arbeitssicherheit oder die EQUAM Zertifizierung (Qualitätssicherung).
Die Fischer wissen, dass das Meer gefährlich und der Sturm schrecklich ist,
aber sie haben diese Gefahren nie als ausreichenden Grund gefunden,
an Land zu bleiben.
Vincent van Gogh
Wir fühlen uns als Team gestärkt und ermutigt, all die Klippen und Untiefen in den heutigen Stürmen zu umschiffen, um immer wieder in ruhigere Gewässer zu finden oder auch neue «Schatzinseln» zu finden.
M. Deppeler & Team Salutomed